Firmenchronik - Die Gründerjahre | 1922-45

Bildgießerei Seiler in Schöneiche

Am 22. Juni 1922 wurde die Firma Seiler & Siebert in Berlin-Friedrichshagen durch die langjährigen Mitarbeiter der Traditionsfirma Gladenbeck, dieFormer Willi Seiler (1894 – 1964), und Emil Siebert gegründet. Heute kann die Firma auf eine erfolgreiche neunzigjährige Geschichte als renommierte Bronze- Kunstgießerei zurückblicken. Sie wird nunmehr in vierter Generation von der Familie Seiler geleitet.

Der Vorläufer: Gladenbeck-Gießerei

Die Geschichte der Bildgießerei Seiler geht auf die der traditionsreichen Friedrichshagener Bildgießerei Gladenbeck zurück. Diese war am Ende des 19. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Kunstgießereien für die Residenzstadt Berlin. 1827 wurde Herrmann Gladenbeck geboren, trat nach der Schulzeit seine Lehre in der Eggels’schen Eisengießerei an und vollendete diese bei dem Bronzegießer und akademischen Lehrer Fischer im Königl. Gießhause. Ab 1848 arbeitete er in verschiedenen Werkstätten der Zink- und Messinggießerei. 1851 begründete Gladenbeck seine erste eigene Gießerei für Gold- und Silbergüsse. Ab 1856 erhielt er Großaufträge von Prof. Christian Daniel Rauch (u. a. Friedrich II.-Denkmal, Unter den Linden und das Kant-Denkmal für Königsberg).


Neptunbrunnen 200   Insgesamt wurden etwa 200 Kolossal-Denkmäler in der Königlichen Bronzegießerei „Hinter dem Gießhaus“ im Zentrum Berlins und in der Gladenbeck’schen Gießerei in der Münzstraße gegossen. 5 Für seine Verdienste wurde Gladenbeck 1862 der preußische Rote Adler- Orden verliehen.
1887 begründete Gladenbeck die Gießerei für monumentale Bildwerke in Friedrichshagen bei Berlin. Am 11.11.1918 verstarb Herrmann Gladenbeck im Alter von 91 Jahren. Schon 1876 hatten die Söhne Gladenbecks eigene Gießereien gegründet, die später jedoch zur Gladenbeck-AG vereinigt wurden. Bei den Gladenbecks sind so bedeutende Skulpturen wie die der Siegesgöttin auf der Siegessäule im Berliner Tiergarten, das Kaiser-Wilhelm-Denkmal vor dem Berliner Stadtschloß und der Neptunbrunnen auf dem Schloßplatz gegossen worden. Die von Oskar Gladenbeck gegründete Firma ging 1904 in Konkurs. Auch die im Namen seiner Frau zwei Jahre später neu gegründete Firma „Gladenbeck Bronzegießerei und Kunstwerkstätten GmbH“ wurde 1932 stillgelegt.  

Neptunbrunnen 200


Willi Seiler hat seine 1908 begonnene Lehre als Kunstformer bei der Firma Gladenbeck & Sohn in Friedrichshagen 1912 abgeschlossen. Aber am 1. Februar 1915 musste er entlassen werden; das Entlassungszeugnis bescheinigt ihm, dass „der Former Willi Seiler vom 9. Januar bis zum heutigen Tage bei uns zur vollsten Zufriedenheit als Former zur Herstellung von Granaten beschäftigt war. Seine Entlassung erfolgte nur weil wir das nötige Eisen nicht rechtzeitig heranbekommen können.
Während seiner Tätigkeit in der Gladenbeck'schen Gießerei war Willi Seiler Mitglied des „ Arbeiterausschusses“.


Willi Seiler (vorne rechts) bei Gladenbecks

 

Willi Seiler wurde Anfang 1915 entlassen, erhielt aber immerhin eine zu dieser Zeit nicht immer übliche Entschädigungszahlung. In der Folgezeit konnte Willi Seiler nur in Kurzzeitbeschäftigung in verschiedenen Firmen arbeiten: vom 8. Februar bis zum 28. August 1915 bei den Neuen Berliner Metallwerken, vom 1. September 1915 bis zum 8. Januar 1916 bei der Firma Beisswenger, vom 27. Januar bis zum 11. Februar 1916 bei den Stahlwerken M. Bothe & Co., vom 23. Februar bis zum 18. April 1916 in der Eisengießerei C. Spatzier. Im Juni 1916 stand offenbar auch bei der Fa. Gladenbeck wieder genug Eisen für die Granatenherstellung zur Verfügung. Eine Abgangsbescheinigung bestätigt ihm: „Der Former Willi Seiler war vom 19.06.1916 bis 26.02.1918 bei der Aktiengesellschaft vorm. H. Gladenbeck & Sohn Bildgießerei beschäftigt“, die Krankenkassenbeiträge sowie die Beiträge zur Invaliditäts-Versicherung waren bezahlt und die Brotkarte für die laufende Woche hatte er erhalten.

Anschließend arbeitete Willi Seiler vom Oktober 1918 bis Januar 1919 in der Betriebsverwaltung der Kleinbahnen, bis er 1922 gemeinsam mit Emil Siebert die eigene Firma Seiler & Siebert in Berlin-Friedrichshagen gründete.

Ein Jahr später, am 21. Oktober 1923, wird sein Sohn Kurt geboren.


Am 17. Juni 1931 schlossen die Gladenbecks Bronzegießerei und Kunstwerkstätten GmbH mit der Fa. Seiler und Siebert den maßgeblichen Kooperationsvertrag, der die Zusammen-arbeit beider Firmen für die Folgezeit regelt.
 


Gladenbeck GmbH in Schöneiche

Nur ein Jahr später trat die Fa. Seiler & Siebert in die Fa. Gladenbecks Bronzegießerei und Kunstwerkstätten mit Bildung der Gladenbeck GmbH ein. W.Seiler und E. Siebert wurden Mitgesellschafter der neuen Firma. 1933 erhielt Willi Seiler seinen Meisterbrief als Kunstformer-Meister. 1934 erscheint die Anzeige der Verlegung von Gladenbecks-Bronzegießerei und Kunstwerkstätten GmbH von Friedrichshagen nach Schöneiche.

Im Handelsregister der Industrie- und Handelskammer zu Berlin befindet sich hierzu mit Datum vom 29.5.1934 folgende Mitteilung:

„Die Firma hatte ihren Betrieb Friedrichshagen Seestr. 9 aufgegeben, weil die Räumlichkeiten ihren Anforderungen nicht mehr entsprachen und es sich als notwendig erwies, neue Anlagen nach fachlichen, sozialen und ideellen Grundsätzen zu schaffen. Diese Anlagen sind in Friedrichshagen-Schöneiche auf dem Gelände des Ritterguts angeblich im Bau begriffen und sollen bis zum Herbst fertiggestellt werden. Es sind bereits Ausstellungsräume und Lagerräume vorhanden zur Aufnahme der angeblich bedeutendsten, nach Tausenden von Metallmodellen zählenden Modellsammlung Deutschlands.
In der Zwischenzeit wird der Betrieb aufrecht erhalten durch Zusammenlegung mit der Bildgießerei Seiler und Siebert in Friedrichshagen. …“


Gesellschafter der gemeinsamen Firma waren George Lyons, Major a.D. und seine Ehefrau Elisabeth Lyons, beide aus Lichterfelde, Walter Gladenbeck (Bildgießer) aus Friedrichshagen, der Gießmeister Willi Seiler aus Schöneiche und der Gießmeister Emil Siebert aus Friedrichshagen.
 
Meisterbrief Willi Seiler


Willi Seiler, Kurt Seiler Seiler, Emil Siebert

George Lyons, der Geschäftsführer der Gladenbeck GmbH, hatte als Schwiegersohn des letzten privaten Besitzers des Gutes Schöneiche, Amtsrat Wrede, die sogenannte Gelbe Villa in der Nähe des Schöneicher Schlosses geerbt. Das Gut selbst war mit allen übrigen Ländereien und Liegenschaften an die Stadt Berlin verkauft worden. Mit der Verlegung des Firmensitzes von Friedrichshagen nach Schöneiche wurde in Höhe des Kellergeschosses der Gelben Villa ein Flachbau (der sogenannte „Massivschuppen“) angeschlossen. Hier wurden die Werkstätten für Modellbau und Ziselierungen sowie das einmalig umfangreiche Modell- Lager mit mehreren tausend originalen Modellen eingerichtet.


Die Parkanlage vor der gelben Villa eignete sich hervorragend für die Freiluftaufstellung der in der neuen Gießerei gegossenen Skulpturen.


Skulpturen von Ernst Seger im Park der Gelben Villa
 

Der neben der Gelben Villa von Lyons in dieser Zeit neu angelegte „Gladenbecks Ausstellungspark Schöneiche am Schloß“ war zur Werbung für zeitgenössische Skulpturen der dreißiger Jahre gedacht.


 


1934 begann auch der Neubau der eigentlichen, noch heute existierenden Gießerei auf dem angrenzenden Grundstück, an die 1935 noch ein Werkstattgebäude mit Schleiferei und Ziselierwerkstatt angebaut wurde.

Am 1. Mai 1935 erfolgte de jure die Verlegung des Sitzes der Firma einschließlich des Gießereibetriebes nach Schöneiche. Der gesamte Fertigungsumfang hatte mit dem Anwachsen der Metropole Berlin stark zugenommen. Willi Seiler und Emil Siebert wurden Mieter der neu erbauten Gießerei und übernahmen den gesamten Gießereibetrieb der Gladenbecks-Bronzegießerei und Kunstwerkstätten GmbH. Der Mietvertrag, der mit Veränderung der Wirtschaftslage vor allem während des II. Weltkrieges mehrmals „aktualisiert“ wurde, regelte die Beziehungen zwischen dem Erbauer der neuen Gießerei und der Nebengebäude, Lyons, und der Gießerei Seiler & Siebert.
1938 begann der 1923 geborene Kurt Seiler, Sohn von Willi Seiler, seine Lehre „zur Erlernung des Kunstformer-Handwerks in der Bildgießerei Seiler & Siebert in Schöneiche b. Friedrichshagen“. Diese Lehre schloss er 1941 erfolgreich ab und arbeitete danach in der Schöneicher Gießerei.


 

In den letzten Kriegsjahren gab es in der Gießerei keinen Kunstguss-Betrieb mehr und es mussten kriegswichtige Produkte hergestellt werden. Kurt Seiler wurde als Soldat eingezogen. Erst 1947 kehrte er nach kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft aus dem Kreisumsiedlerlager Glöwen  zurück. Sein Vater Willi verpachtete ihm einen Teil seines zwischen der Friedrichshagener und der Ebereschenstraße gelegenen Gartengrundstücks unentgeltlich „zur ordentlichen und pfleglichen Behandlung“. Fortan arbeitete Kurt Seiler als Kunstformer in der Bildgießerei Seiler & Siebert.


1949 wurde jedoch die Gladenbeck GmbH infolge der Spaltung Berlins aufgelöst. Der letzte Geschäftsführer der Gladenbecks-Bronzegießerei und Kunstwerkstätten GmbH, Richard Ihlefeld, zeigte am 28. März 1949 die Auflösung der Firma an und benannte sich als Liquidator. Infolge dessen überführte er die einmalige Modellsammlung in seinen neuen Wohnort, dem oberfränkischen Pegnitz.
Ihlefeld unterbreitete 1966 das Angebot, eintausenddreihundert Modelle aus dem Gladenbeck-Nachlass für 250.000 DM dem in Westberlin gelegenen Berlin-Museum, zu überlassen. Aus diesem Geschäft wurde wohl wegen der überzogenen Geldforderung und fehlender Ankaufmittel nichts. Zwanzig Jahre sollten vergehen, bis erstmalig wieder ein Hinweis auf die Gladenbeck’schen Modelle in einer Annonce des Auktionshauses König in Nürnberg auftauchte. Im Zeitraum 1986 bis 1990 gelang es einem Privatsammler, einen Teil des Gladenbeck-Erbes nach Berlin zurückzuführen.
1987 präsentierte die Berliner Volksbank Stadtzentrale anlässlich der 750-Jahrfeier Berlins erstmals eine Sammlung ausgewählter historischer Gussmodelle und -formen. In seiner Auktion 554 vom 13. Oktober 1990 offerierte das Berliner Auktionshaus Leo Spik die „Sammlung von Bronzemodellen Gladenbeck und Sohn“. Deutlich wurde im Vorfeld die Möglichkeit besprochen, ein Gesamtgebot auf die geschlossene, vorwiegend aus dem Nachlass des oben angeführten Privatsammlers stammende Sammlung (Katalognummern 2431-2787) abgeben zu können. Leider wurde von keinem der Beteiligten diese Option wahrgenommen, so dass dieser Teil der Sammlung zerrissen und damit zugleich der wissenschaftlichen Aufarbeitung entzogen wurde.


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